Fahrtensegeln: „Australia goes London“ Englandtörn 2023

  • Schiff: Dehler Dehlya 25 „Australia“ Bj. 1994
  • Team: Olaf Quast und Johannes Vollmer
  • Fotos, Daten: Olaf Quast / Johannes Vollmer
  • Törnzeitraum:  21.04.-05.05.2023
  • Gesegelte Meilen: 305

Nach meiner ersten Kanalüberquerung 2018 nach Ramsgate ließ mich der Gedanke nicht los, mit dem eigenen Schiff einmal nach London zu segeln. Mich fasziniert die Herausforderung, sich mit Tide, Reeds, Gezeitenstromatlas, Zeiten, Verkehrsvorschriften, Navigation, Funk und langen Distanzen zu beschäftigen.

Im Winter 2022/2023 studierte und berechnete ich in langen Abenden den geplanten Törn. Dieser wird einzig und allein durch die Tide bestimmt.

Die langen Distanzen von über 40sm pro Abschnitt erlauben keine Fehler, sonst wird der Weg zum Ziel sehr lang und auch gefährlich. Wind gegen Strom sind keine guten Partner für einem 25 Fuß-Segler!

Der Reeds als Bibel der Seefahrer war dazu neben den diversen Seekarten der Britischen Admiralität, kombiniert mit Imrays, den Gezeitenstromatlanten und des North Sea Passage Pilot mein ständiger Begleiter. Herzlichen Dank an dieser Stelle an Johannes für die Unterstützung mit Material. 

Zuerst legte ich die Route fest, bestimmte die Distanzen, um dann einhergehend mit den Gezeitenstromverhältnissen die Abfahrtszeiten der jeweiligen Häfen zu berechnen. UT, BST und MESZ sorgten dann für genügend Nachdenkpotential! Auch die zwingend vorgeschriebene Registrierung in England für die Einklarierung gegenüber der Border Force war ein spannendes Thema für sich. Selbst die Herstellernummer des Schiffsrumpfes musste ich angeben! Brexit lässt grüßen!

So traf ich mich mit Johannes im März zur Törnbesprechung, um unsere unabhängig voneinander berechneten Abfahrts- und Planzahlen zu vergleichen. Wow, keine Korrektur, passt!

Parallel sorgte ich für die technische Sicherheit meines Schiffes. Wartung des Außenborders, der Rettungswesten, Aktualisierung der Navigationssoftware und die Gesamtdurchsicht des Schiffes kosteten einiges an Zeit.  Mal „eben“ nach England über den Kanal ist nicht! Das ist in keiner Weise eine Spazierfahrt. Von daher mussten das Schiff und unsere Ausrüstung in einem Topzustand sein.

Dann konnte es endlich losgehen. Australia goes London!

 

Hier unser Törnverlauf:

Freitag, 21.04.2023: Wir starteten nachts mit einem vollgepackten Schiff und Auto in Richtung Nieuwpoort/Belgien. Unser Krantermin war um 13:00 Uhr terminiert,  mit einer abenteuerlichen Konstruktion schob mich der Radlader die Rampe hinunter, während ich in der Plicht saß und hoffte, heile ins Wasser zu kommen. Puh, sie schwimmt! Anschließend riggten Johannes und ich die Australia auf, checkten anschließend jede Wante und jeden Beschlag. Alles o.k.!

Es regnete in Strömen, bei 6 Grad gingen wir im Ölzeug in das Hafenrestaurant der Marina. Das fängt ja gut an!

 

Samstag, 22.04.2023: Der Wetterbericht wurde nicht besser, wir legten eine Stunde später als geplant in Richtung Dünkirchen/Frankreich ab.  N-NO bei 4-5, später rechtdrehend auf O mit Regenschauern und 8 Grad.

Nach 21sm erreichten wir den Yachtclub de la Mer du Nord.  Willkommen in Frankreich!

Raus aus dem Ölzeug, Heizung an, Anleger, Dusche!

Es wurde spannend. Wir prüften über Windfinder, Seewetterapp und Metoffice die Vorhersage für die morgige Kanalüberquerung. Regen, 6-7 Grad, Wind N-NO 4-5, später 6er Böen möglich. Brrrrrr.

 

Sonntag, 23.04.2023: Der Wind sollte später auf NO drehen, um 09:30 Uhr MESZ legten wir ab. Dicke Klamotten wie im Wintersport waren angesagt. Nach Verlassen des Hafens setzten wir die Segel mit 2. Reff im Groß, Kurs Tonne Dyck, Distanz 20sm. Wind N 4-5. Die Tonne „Dyck“ ist für die Querung des englischen Kanals ein äußerst wichtiger Wegepunkt, da hier der Kurs zur Querung des ca. 17sm breiten Verkehrstrennungsgebietes abgesetzt wird und der bis dahin mitlaufende Strom langsam kippen sollte, um mit ihm nach England zu segeln. Ein einfacher Strich als Kurs auf der Seekarte reicht nicht aus und ist auch gar nicht erlaubt.  Ihr fahrt „Heading at right angles to the general direction of traffic flow“!

Das VTS ist rechtwinklig zu queren, der Strom versetzt euch aber um ca. 30 Grad. Der MgK ist also nicht der KüG!!! Kennt ihr alle aus der SKS Ausbildung.          

Passend fing es an stark zu regnen, die Sichtweite lag bei ca. 2-3sm. Wir fuhren mit 5,8kn FdW, SOG 6-6,5kn. Der Strom lief wie zuhause berechnet mit. Die Berufsschifffahrt interessierte uns erst für die von Backbord kommenden Schiffe, das AIS ist hier eine mehr als sinnvolle Hilfe. Zeigt es neben Namen, Größe, Kurs und Geschwindigkeit auch den CPA-Wert an (Closest Point of Approach); also der voraussichtlich dichteste Annäherungswert. Hoppla, bei 0,1sm sollte man schleunigst den Kurs wechseln, bei 15-20kn Speed der Berufsschiffe geht das ziemlich schnell, bis man auch ohne Fernglas den Schiffsnamen lesen kann!

So wichen wir ordnungsgemäß aus, um anschließend wieder auf den alten Kurs abzufallen. Noch konnten wir hart am Wind segeln, wir warteten bei Wind um die 15-18kn aus N-NO auf die vorhergesagte Drehung auf Ost. Es regnete in Strömen, der eiskalte Wind ließ gedanklich den Wunsch nach einer Standheizung aufkommen. Als wir die Mitte des VTS erreicht hatten, frischte der Wind weiter auf. 22 bis 23kn!  Nun ging der Blick nach Stb, um die Richtung Atlantik fahrenden Schiffe im Blickfeld zu behalten. Diese waren weit genug weg, wir konnten den Kurs halten. Nach Verlassen des VTS drehte der Wind leider nicht, so dass wir gezwungen waren, die Segel zu bergen und zu motoren. Jetzt hatten wir genau die Situation, die wir nicht gebrauchen konnten und so auch nicht vorhergesagt worden war.

Wind gegen Strom, mit Wind genau auf der Nase. 24kn Windspitzen mit Seegang im Kanal sind nicht gerade witzig, das Schiff wurde ordentlich geduscht und schlug immer wieder hart mit dem Bug in die Welle ein.  Die englische Küste konnten wir bei der schlechten Sicht nicht erkennen, weiter ging es in Richtung Ramsgate, außen um die Goodwin Sands herum (Sandbank, ca. 17sm lang und übersät mit Schiffswracks). Nach 8,5h vor unserem Ziel Ramsgate griff ich zum Handy, um die Yachthotline zum Einklarieren in England zu informieren. Viele Fragen, trotz meiner vorherigen Registrierung wurden mir gestellt. „Schiffsname, Länge, Breite, Personenanzahl, Passnr., ETA Ramsgate…“. Die Briten möchten halt gerne wissen, wer aus der EU zu Ihnen kommt! Der Officer wünschte uns eine gute Einfahrt nach Ramsgate und bedankte sich.

Gemäß den Regularien setzt ihr die Gastlandflagge und die Q-Flagge bei Betreten der 12sm Zone. Das wäre mitten im VTS gewesen. Nee, bei der Wetter- und Wellenlage ging keiner auf das Vorschiff. Sicherheit geht vor!  Erst kurz vor der Hafeneinfahrt wechselte ich eingepickt die Gastlandflagge, gepaart mit der Q-Flagge.  Einfach reinfahren? Nach 9h und 45sm? Nein! Per Funk muss die Genehmigung dazu von Ramsgate Port Control eingeholt werden, die wir sofort erhielten. Innerhalb des Hafens stellt ihr dann die Funke auf die Marina um und bittet um einen Liegeplatz. Diejenigen von euch, die bei Johannes die Funkausbildung abgeschlossen haben, kennen das.

„Ramsgate Port Control, this is Sailingyacht Australia, over“.

So suchten wir uns einen schönen Platz im noch recht leeren Hafen aus. Gerade die letzte Spring gesetzt und es erschien ein schwarz gekleideter Herr in Uniform mit goldenen Abzeichen. Border Force! „Good afternoon, Sirs, welcome in England, how was your trip?”. Äußerst nett und ohne Kontrolle erledigten wir den offiziellen Akt der Einklarierung und ich durfte die Q-Flagge von der Saling nehmen. Geschafft! Anleger, Heizung an, raus aus den Klamotten. Wir waren wieder in England!

 

Montag, 24.04.2023: Endlich Sonne, 10 Grad können ganz schön warm wirken, Hafentag! Ausschlafen, gemütliches frühstücken an Bord und Sightseeing in der Stadt taten uns gut. Erneuter Sicherheitscheck am Schiff, alles o.k.. Abends besuchten wir den Royal Temple Yacht Club und trugen uns in das Gästebuch ein. Auch unseren Eintrag aus 2018 fanden wir wieder. Der Besuch dieses Traditionsvereins, gegründet 1857(!) ist einfach Pflicht, wenn man in Ramsgate ist. Der altenglische Stil des Clubhauses mit einem Blick direkt auf den gesamten Hafen und des Ärmelkanals lohnt sich.

 

Dienstag, 25.04.2023: Heute sollte es nach Queenborough Harbour in den River Medway gehen. Distanz 41sm. Sonne, mit weiterhin eiskaltem Wind aus N mit 3-4 führte zwangsweise für die ersten 2,5h zum Einsatz des Motors gegenan. Wieder Wind gegen Strom!  Erst ab der Tonne E-Margate und damit der Einfahrt in den Princess Channel konnten wir nach 10sm abfallen und die Segel setzen. Im Princess Channel achteten wir tunlichst auf den Schiffsverkehr Richtung Themse. Durch die unterschiedlichen Fahrwasser „Channels“, gar nicht so einfach, um beurteilen zu können, ob der „Pott“ für uns gefährlich wird oder auch nicht. Bei der Anfahrt zur Ansteuerungstonne des River Medway mussten wir das Fahrwasser wechseln und wurden von London VTS per Funk äußerst höflich darüber informiert, dass in ca. 15 Minuten ein großes Schiff diese Route auf Grund des Tiefgangs nutzen müsste. Kein Problem. Wechsel der Fahrwasserseite auf direktem Weg, 10 Minuten später war das Containerschiff querab. Wieder erfolgte der Funkanruf von London VTS. Sie bedankten sich für unsere Kooperation und wünschten eine gute Wache! So sind die Briten! Höflich, nett, zuvorkommend, Klasse. Der Hafen im River Medway besteht entweder aus Moorings oder einer alten Pier mitten im Fluss. Wieder ist Funk Pflicht: „Sheppey one, this is Sailingyacht Australia, over“.

Platz war an der Pier, der Hafenmeister half uns beim Festmachen, auch hier ist der Strom zu beachten!

Verpflegung an Bord mit netten Gesprächen unserer Nachbarn. Schon eigenartig, mitten in einem Fluss zu liegen, wo bei Niedrigwasser über zig Meter nur Schlick zu sehen ist und bei Hochwasser alles überspült wird.  Gleichzeitig eine Idylle pur, die Stille und Ruhe mit ein wenig Sonne genießen zu können.

 

Mittwoch, 26.04.2023: Der letzte Teilabschnitt bis London. Wetter bewölkt, weiterhin kalt, aber wenigstens kein Regen. Wind auf O mit 3-4, später abnehmend. Leinen los um 09.30 Uhr, entsprechend 1,5h vor NW Sheerness. Damit nimmt euch der Strom mitlaufend bis nach London, denn ihr braucht 2h, um in der eigentlichen Themse zu sein. Die Distanzen sind schon gewaltig.

Die Fock zog uns schön mit, FdW 5 kn, SOG um die 6-6,50 kn.  

Anfangs hat die Sportschifffahrt auf Backbord zu bleiben, bis die Industriehafenanlagen mit Öllager und Containerterminals passiert sind. Damit ist sichergestellt, dass die großen Schiffe ungehindert mit Schlepperhilfe ihre Manöver fahren können. Schon spannend, die Container-, LNG-Schiffe und Co. aus nächster Nähe betrachten zu können. Die Themse wird natürlich zunehmend schmaler, bald gibt es keine große Berufsschifffahrt mehr. Die Wassertiefe führt für sie zu einer natürlichen Barriere und für die Sportschifffahrt zu einer entspannten Ruhe.

Nach gut 7h meldeten wir uns bei Thames Barrier, um die Durchfahrterlaubnis zu bekommen. Natürlich wieder per Funk. „Fahren Sie bitte durch das südliche Tor, gekennzeichnet durch zwei grüne Pfeile!“ Dieses Bauwerk gehört zu den weltweit größten Sturmflutsperrwerken. Es soll London vor außergewöhnlich hohen Fluten der Nordsee schützen, insbesondere vor Sturmfluten. Es besteht aus 10 schwenkbaren Toren, die im offenen Zustand auf den Boden der Themse abgesenkt werden. Die vier mittleren Tore sind je 60 Meter breit, 10,50m hoch und wiegen je 1.500 Tonnen. Droht eine Sturmflut, können sie innerhalb von 15 Minuten geschlossen werden. Auch dies macht sie einzigartig, da die meisten vergleichbaren Sperrwerke mehrere Stunden zum Schließen der Tore benötigen. 1974 begann man mit dem Bau, Königin Elisabeth II. weihte es 1984 ein. Damalige Baukosten 534 Millionen Pfund. Bis 2019 kam die Sperre 184 Mal zum Einsatz. Von hier aus ist die Skyline von London schon klar zu erkennen. Die Vorfreude wuchs. Als nächstes erreichten wir die O2 Arena, die am Nullmeridian von Greenwich liegt. Für einen Augenblick zeigte mein GPS dann auch tatsächlich N 51´30.360‘ und W 000’00.000’ an! Für einen Segler ein tolles Erlebnis, diese weltweit so wichtige geografische Referenzlinie überquert zu haben. Jetzt ging es zügig in Richtung City. Durch die Steineinbettung der Themse und den hektischen Schiffsverkehr der Ausflugsschiffe bildet sich eine unruhige und teils hackige Welle, die das Schiff gut durchschüttelte. Doch es war nicht mehr weit. Die letzte Biegung und langsam tauchte rechtvoraus die Tower Bridge Londons vor uns auf! Wow, was für ein toller Anblick! Wir hatten es tatsächlich bis London mit dem kleinen Schiff geschafft!

Natürlich drehten wir eine Ehrenrunde vor der Brücke, bevor wir uns per Funk bei der Marina St. Katharine Docks zum Schleusen anmeldeten. Hier gilt es zu beachten, dass die Lockzeiten nur 2h vor und 1,5h nach HW durchgeführt werden. Kommt ihr später an, dürft ihr wieder zurückfahren. Das gehört mit zur Törnplanung!  

Denn ankern, oder gar in eine Marina, ist nicht! Daher ist die Vorbereitung mit den Berechnungen ein absolutes „Muss“, um bei 44sm und guten 8h Fahrzeit innerhalb dieses Zeitfenstern auch vor Ort zu sein. Wer also meint, in aller Ruhe die Themse raufzusegeln, wird am Ende das Nachsehen haben. Den noch immer laufenden Strom beachtend, fuhr ich die Australia mit Vorhaltewinkel in die Schleuse hinein.

Das Hafenpersonal half uns beim Festmachen und bat mich, mit in das Hafenbüro zu kommen. Welcome in London, welcome in St. Katharine Docks, Sir!

Mit Stromadapter, elektronischer Schlüsselkarte und Hafenplan ging ich zurück zum Schiff. Das Schleusen der uralten, mit Drahtzügen für die Tore und Fussgängerüberweg versehene Bauwerk führt schon rein technisch bedingt beim Schleussvorgang zu einer völligen Ruhe und Gelassenheit. Es dauert nämlich ganz schön lange.

Noch einmal kurz Gas gegeben und die Australia lag fest mitten im Herzen von London! Ein unbeschreibliches Gefühl, nach den Strapazen und Wetterbedingungen mit einem so kleinen Schiff 100m unterhalb der Tower Bridge zu liegen! Anleger, Pils, der helle Wahnsinn!

Tagesetappe 44sm, 8h bei einem Durchschnitt von 5,2kn.

SKD ist eine Top Marina, 5 Sterne mit einem hervorragenden Service! Hier gibt es im Sanitärbereich richtige Badezimmer mit Toilette, Waschbecken und Dusche. Pieksauber, die ganze Anlage mit ca. 180 Liegeplätzen einfach Klasse. Abendverpflegung an Bord, es war mittlerweile schon fast 21 Uhr, wir genossen das Flair und die Stimmung an Bord.

 

Donnerstag, 27.04.2023: Hafentag. Ausschlafen, eine heiße Dusche genießen und ein leckeres Frühstück war unser Start in den Tag. Wir fuhren mit dem Ausflugsschiff nach Greenwich, da wir den Ort besuchen wollten, der weltweit die Zeit angibt und als Bezugspunkt für Datum und Uhrzeit dient. Denn noch immer wird die Weltzeit (UT) oft als Greenwich Mean Time (GMT) angegeben. Das Königliche Observatorium mit seinen Erläuterungen und der Originaluhr H1 Harrisons von 1735 mit seinen schlanken 32kg und 1,2m Höhe war für die Briten der Durchbruch zur Bestimmung des Längengrades. Wen das interessiert, schaut auf Wikipedia nach!  Ein weiterer Höhepunkt war um 13:00 Uhr die Beobachtung des Timeballs mit der Auslösung am Royal Greenwich Observatorium. Der Ball wird 5 Minuten vorher auf halbe Höhe gehoben und zwei oder drei Minuten vor dem Fall ganz heraufgezogen. Witzig und schön anzusehen, mit einer Bedeutung der Uhrzeit für die ganze Welt. Nach den obligatorischen Fotos mit uns auf dem Nullmeridian ging es zurück zur Marina. Heute Abend sollte es in das Dickens Inn gehen. Auf 3 Etagen einer ehemaligen Brauerei heute ein Riesenpub innerhalb von SKD mit Blick auf die Schiffe, ist schon etwas Besonderes. Wir genossen den Abend!

 

Freitag, 28.04.2023: Hafentag. Mit der U-Bahn fuhren wir in Richtung Westminster Abbey, um zu Fuß an der Downing Street, vorbei am Big Ben und dann weiter zum Buckingham Palace die bereits für die Krönung von König Charles beflaggte The Mall zu bestaunen. Kilometerlange Absperrgitter ließen den Aufwand der Feierlichkeiten erahnen. Abends genossen wir den letzten Abend in London und meldeten uns im Hafenbüro für die Ablegezeit und damit Schleusenzeit des folgenden Tages.

 

Samstag, 29.04.2023: Abreise SKD! Wieder hervorragender Service des Personals bei trockenem Wetter um die 12 Grad mit Sonne.  Per Funk und vorher festgelegter Reihenfolge bat uns das Team um die Einfahrt in die Schleuse. Nach einer halben Stunde öffnete sich das Schleusentor um 09:35 Uhr und wir waren wieder mitten auf der Themse. Bye, bye, London, bye, bye SKD! Fest Queenborough nach 8,5h und 44sm. Diesmal im Päckchen, aber problemlos mit Landanschluss.  Überprüfung des Riggs und Ausrüstung, denn morgen lag wieder ein langer Schlag vor uns.

 

Sonntag, 30.04.2023: Ablegen um 08:30 Uhr, um anhand der Tide mit Strom gut nach Ramsgate zu kommen. Wind um die 3 Bft., ein schöner Tag. Später im Princess Channel frischte der Wind auf, aber kein Problem. Nach 7,5h lagen wir wieder fest in Ramsgate. Nachtanken. Schiff aufklarieren und die Atmosphäre der Stadt genießen.

 

Montag, 01.05.2023: Wind aus N-NO um 4 Bft., später 5 möglich. Hoch am Wind segelten wir mit Ziel Dover. Getrimmt erreichten wir immer wieder FDW von 6-6,5kn, während unser SOG bei 7-7,5kn lag. Dehler läuft!

Gebannt verfolgten wir dabei den Funkverkehr des Kanals. Mit unseren 4 Funken (typisch Johannes) waren wir stets auf allen Kanälen hörbereit. Die Crew eines unter russischer Flagge fahrenden Frachters beantworte alle standardisierten Fragen, bis London VTS nach der Ladung fragte. Keine Antwort der Russen.

Auch nach 2maliger Wiederholung und Ansprache mit Wechsel auf Ch 16 erhielten die Briten keine Antwort. Nach ca. 1h blickte ich achteraus und sah in einiger Entfernung eine Fregatte. Was die wohl für einen Auftrag hatte?

Mehr Höhe konnten wir nicht segeln. Um nach Dover zu kommen, hätten wir die Segel bergen und ca. 4h motoren müssen. Das wäre wieder die Situation Wind gegen Strom gewesen.  Das Feuerschiff East Goodwin lag schon fast querab. Johannes machte dann den Vorschlag, doch direkt weiterzufahren und den Kanal schon heute zu überqueren. Nach einer kurzen Bedenkzeit und Überlegung mit Seekarte und Stromatlas stimmte ich zu. Vorteil: Bei der Einfahrt in das VTS konnten wir um ca. 20 Grad abfallen und hätten einen Halbwindkurs. Bei um die 15-18kn Wind? Optimal. Johannes griff zum Funkgerät und gab den Travelreport ab. Channel VTS wünschte uns eine sichere Überquerung anhand der gültigen Verkehrsvorschriften. „Have a save Crossing, Channel VTS, out!“

Bei Abfallen hatten wir richtig Spaß! Mit 6,5 kn FdW und guten 7-7,5 kn SOG auf Halbwindkurs „schroteten“ wir über Meilen durch das VTS. Die Berufsschifffahrt störte uns dieses Mal nicht. In Rekordzeit querten wir das VTS. Der Wind ließ langsam nach, es war schließlich gegen 20 Uhr BST, also 21 Uhr MESZ, oder auch 19:00 Uhr UT! Ja, was denn nun? Es macht Sinn, einfach bei UT zu bleiben, um nicht mit den unterschiedlichen Zeiten durcheinander zu geraten. Jetzt lagen noch ca. 20 sm bis Dünkirchen vor uns. Bei Einbruch der Dunkelheit und raumem Wind mit nur noch 8kn und ca. 5kn FdW bargen wir die Segel, Motor an! Mit 3kn scheinbaren Wind in den Tüchern machte Segeln nicht wirklich noch Sinn.  Der Sonnenuntergang auf See war ein Genuss, der Blick achteraus auf die Weite des Ärmelkanals unbezahlbar.

Doch weiterhin volle Konzentration, denn die Fähren aus Dünkirchen fahren auch um diese Uhrzeit noch nach England. Ich schaltete die Lichter an und stellte die Instrumente auf Rotlicht ein, dto. den Salon. Eine Fähre kam uns aus Dünkirchen entgegen, CPA 0,2sm. O.k, wir fallen noch mehr nach Bb. ab, passt. Den Strom konnten wir weiterhin optimal für uns nutzen. FdW um die 5,5 kn, SOG 6,5-7kn! Super.

Mit der Dunkelheit erreichten wir die Anfahrt in den Passe du Haut-Fond de Gravelines, der gut betonnt ist. Aufmerksam beachteten wir unseren Kurs, um nicht mit dem immer noch mitlaufenden Strom auf eine Tonne gedrückt zu werden. Die franz. Küste mit den Industrieanlagen Dünkirchens und vor allen deren Beleuchtung irritierten bei der Tonnensuche. Grün vor weiß ist nicht einfach zu erkennen. Um kurz nach Mitternacht erreichten wir die Hafeneinfahrt von Dünkirchen und machten im Yacht Club de la Mer du Nord erneut fest. Gar nicht einfach, das Schiff sicher durch den unbeleuchteten Hafen zu manövrieren. Glücklich und müde, erneut den Kanal bezwungen zu haben, ließen wir den Tag bei einem verdienten Anlegerpils Revue passieren. Ab in die Koje nach 49sm und guten 10h. Wir fielen in einen tiefen Schlaf.

 

Dienstag, 02.05.2023: Die Wettervorhersage sagte NO-O mit 5-6 Bft. voraus. Damit ist kein Segeln über die flämischen Bänke möglich. Hier entsteht bei diesen Windverhältnissen eine unfreundliche und unberechenbare Welle, dann noch Wind auf der Nase… Nein! Wir entschieden uns daher für einen gepflegten Hafentag und besichtigten ein Kriegsmuseum der Operation „Dynamo“, welches die Evakuierung von über 300.000 Mann im 2. Weltkrieg aus der Stadt veranschaulichte. Abends erfolgte wieder die unabhängige Tidenberechnung, wann wir am nächsten Tag die letzten sm nach Nieuwpoort in Angriff nehmen wollten.   

 

Mittwoch, 03.05.2023: Wetter: N-NE 5, abends 5-6 . Wind gegen Strom! Entscheidung: Wir fahren morgen! Daher Hafentag bei sonnigem Wetter. Erneute Tidenberechnung abends an Bord.

 

Donnerstag, 04.05.2023: Wetter: Sonnige Abschnitte, kein Regen, Wind E-SE um 4 Bft, ca. 15kn.

Ablegen um 12:20 Uhr, setzen der Segel mit Groß im 1. Reff vor Verlassen der Hafenzufahrt. Um 13:30 Uhr Tonne E6 passiert, FdW 4,6kn, SOG 6,4kn. Um 14:00 Uhr passierten wir die Grenze nach Belgien, schon erkennbar an der kilometerlangen und ununterbrochenen Bebauung entlang des Strandes. Furchtbar!

So erreichten wir unseren Ausgangshafen Nieuwpoort und machten um 16:30 Uhr fest.

Wir waren wieder heile zurück! Den letzten Abend verbrachten wir mit einem leckeren Abendessen im Restaurantbereich der Marina und genossen den dortigen Komfort der 5 Sterne Anlage mit seinen 1.500 Liegeplätzen.

 

Freitag, 05.05.2023: Morgens Absprache mit der Marina, Krantermin um 13:30 Uhr. Wind immer noch um die 4 Bft., Regenschauer waren angesagt. Wir riggten das Schiff ab, legten den Mast und packten unser Gepäck soweit für die Heimreise zusammen.

Der Kranvorgang war mal wieder abenteuerlich, denn ich saß in der Plicht, während mein Schiff aus dem Wasser gezogen wurde. Sicher stand die Australia dann um kurz vor 15 Uhr auf dem Trailer. Jetzt lagen noch knapp 500km Heimreise vor uns. Rund um Antwerpen ging es nur im Schneckentempo voran, trotzdem waren wir das schnellste Schiff auf der Autobahn.  Paderborn erreichten wir um Mitternacht.

 

Fazit: Ein Törn nach England und dann noch bis nach London ist für die Crew, wie auch für ein Schiff dieser Größenordnung eine echte Herausforderung. Hier sind Fehlberechnungen, Selbstüberschätzung oder ein nicht technisch völlig einwandfreies Schiff deplatziert. Die langen Tagesetappen über 8-10h mit über 40, in der Spitze 49sm, gespickt mit der ganzen Palette von Tide, Welle, Wind, Stromversatz, Funk, Verkehrsvorschriften, Berufsschifffahrt, Navigation, Sandbänken, Umgang mit Zeiten, Lockzeiten etc. sind keine Spazierfahrt. Mitten im Kanal gibt es kein Zurück und auch nicht in der Themsemündung.

Umso mehr freue ich mich, zusammen mit Johannes diesen Törn gemeistert zu haben. Über 300sm im Kielwasser, mit einer tollen Seemannschaft und Stimmung während der gesamten Zeit sind nicht selbstverständlich. Wir haben uns dieser Herausforderung gemeinsam gestellt und sind mit der Australia sicher zurückgekommen. Bei div. Gesprächen mit anderen Seglern lachte niemand über unsere kleine Dehler mit ihren 7,60m.  Ganz im Gegenteil. „Tolles, gepflegtes Schiff, wie, fast 30 Jahre alt? Klasse, sowas wie Euch gibt es nicht mehr oft. Respekt und Anerkennung für Eure Leistung!“. 

Es war ein unbeschreibliches Erlebnis mit so vielen wunderschönen Eindrücken und Ereignissen, an die ich mich noch lange und gerne erinnern werde.

Ich würde diesen Törn jederzeit wiederholen und kann nur jeden Segler ermuntern, diese Reise einmal selbst zu unternehmen.

Es war der helle Wahnsinn!

 

Mit seglerischen Grüßen

Olaf Quast

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